"Drache-Füür" vom 7. April 2023:
Es ist über 1200 Jahre her, dass ich erstmals ins Gebiet des heutigen Gossau gekommen bin. Damals hiess der Ort noch Cozesauva und bestand aus einem Bauernhof, der umgeben von zahlreichen Sümpfen einsam auf einer Ebene am Fuss des Säntis stand. Der Hof wurde von Heirih bewirtschaftet – mehr schlecht als recht. Als dieser Heirih von der Plackerei in der sumpfigen Cozesauva genug hatte, überschrieb er seinen Besitz am 24. Oktober 824 dem Kloster St.Gallen. Den Nachfolgern von Heirih gelang es, die sumpfige Ebene trocken zu legen und in fruchtbares Ackerland zu verwandeln. Und so durfte ich bei meinen gelegentlichen Stip-Visiten in der Cozesauva mitansehen, wie entlang dem Dorfbach Schritt um Schritt ein stattliches Dorf wuchs, überwacht von den fürstäbtlichen Vögten auf Schloss Oberberg. Natürlich ging es mit Gossau nicht immer nur aufwärts. Immer wieder gab es Rückschläge, sei es durch die vom Säntis herunterstürmenden Appenzeller, die aufmüpfigen Bürger des nahen St.Gallen, die Krieger des Fürstabtes oder die Franzosen. Die Gossauer – damals gab es nur männliche Bürger – waren aufmüpfig und wehrten sich nach besten Kräften. Und ich habe sie über die Jahrhunderte als ihr Dorf-Drachen dabei unterstützt. Zum Dank haben sie mich ins Dorfwappen aufgenommen.
Und dann hat mich im 19. und 20. Jahrhundert die Midlife-Crises voll erwischt und aus dem Verkehr gezogen. Das Dorf Gossau musste für viele Jahre ohne meine Hilfe auskommen. So kam es, dass ich erst nach der Jahrtausendwende wieder einmal in Gossau halt machen konnte. Und was musste ich sehen: Aus dem Hof in der Cozesauva ist eine Stadt geworden, mit zig-tausend Einwohnern und ebenso vielen Arbeitsplätzen. Mit der Grösse sind aber auch die Probleme gewachsen – statt Sumpf dominieren heute moderne Themen wie Verkehr, Ausländer, Bauordnung usw. die öffentliche Diskussion. Kurzentschlossen habe ich mich deshalb in der Salpeterhöhle eingenistet. Von dort aus verfolge ich mit Drachen- respektive Argusaugen das Geschehen in «meiner» Stadt. Was mir dabei auffällt und was ich davon halte, erfahren Sie, liebe Gossauerinnen und Gossauer, jeden Freitag an dieser Stelle.
Erholsame Ostertage wünscht Ihnen
Ihr Drago