Die erste öffentliche Gossauer Stadtführung anlässlich der 1200-Jahr-Feier konnte bei schönstem Wetter begangen werden: Treffpunkt war der Andreassaal. Über 30 Leute fanden sich ein, um mehr über die geschichtsträchtige Stadt zu erfahren. Dabei waren sie jedoch nicht die ersten, die in den Genuss der Stadtführungen kamen: Bereits am Samstag zuvor hatten rund 100 Neuzuzüger die Ehre, die neue Stadtvorstellung zu erleben. Eine wertvolle Bekanntmachung mit der neuen Heimat – aber um nichts weniger auch eine Bereicherung für Alteingesessene. Am Sonntag wurden die Teilnehmenden in zwei Gruppen aufgeteilt. Und man marschierte rund zwei Stunden lang und entdeckte Gossau hier und da von einer ganz neuen Seite. Die Tourguides Elisabeth Bertschinger und Paul Schärer, ehrenamtliche Stadtführer, hatten zu ihren Erzählungen interessante Bilder aus längst vergangenen Gossauer Tagen dabei – an passender Stelle hervorgeholt, tauchten die Teilnehmenden damit noch tiefer in die Geschichte ab.
Zerstückelte Häuser und freigelegte Wandmalereien
Erste Anlaufstelle der Tour war die Andreaskirche – von innen, oben und von aussen gibt es darüber einiges zu erzählen. Unter anderem befindet sich die viertgrösste Glocke der Ostschweiz – die „Andreasglocke“ im Turm – diese läutet aber nur an besonderen Tagen. Im Rahmen der geplanten Turmführungen (z. B. am Donnerstag, 14. März, und Freitag, 15. März, 18 -21 Uhr) kann darüber mehr erfahren werden. Weiter ging es Richtung Ochsenkreisel: Die historischen Häuser entlang der Hauptverkehrsachsen bieten zahlreiche historische Anekdoten rund um die Nutzung und die berühmten Inhaber der Bauten. So zum Beispiel wurde das Weibel-Haus an der Herisauer Strasse angeblich 1731 von Waldstatt in Einzelteilen auf Gossau transportiert und komplett wieder vor Ort zusammengesetzt. Im Inneren befinden sich im Jahr 2011 erstmals entdeckte Wandmalereien aus dem 18. Jahrhundert. Diese können nur gesondert in einer exklusiven Führung durch die privat genutzten Räume besichtigt werden.
Kirchengeschichte neben tiny houses
In den Gossauer Hinterhöfen erfahren die Stadt-Begeher/innen Wissenswertes zur geistlichen Geschichte von Gossau – so war die Stadt u. a. Zentrum der Wiederteuferbewegung. Bis 1831 gab es keine Protestanten in Gossau, 1837 dann ganze sieben. Auch die heutige Konfessionsverteilung wird beleuchtet. Interessanter Fact: 38 % der Stadtbevölkerung ist aktuell konfessionslos oder anders konfessionsartig. Die Katholiken stellen 46%, die Protestanten nun immerhin 16% der Konfessionsangehörigen. In den Hintergassen von Gossau findet man zudem auch die wohl kleinsten bewohnten Häuser der Stadt – war Gossau vielleicht der eigentliche Trendsetter für die heute so beliebten „tiny houses“?
Stickerei im Werk 1
Das Zentrum von Gossau rund um Markthalle und Rathaus bietet ganz grosse Geschichte: Der erste Bahnhof in Gossau befand sich in diesem Areal, zudem ebnen das Werk 1 als ehemalige Schifflistickfabrik und die Brauerei Stadtbühl als eine der wenigen Schweizer Brauereien im Familienbesitz den geschichtlichen Boden der Industrialisierung, Braukunst und Schifflistickerei in Gossau.
Schutzengelkirche war unbeschützt
Am Gallus-Schulhaus kann man dieser Tage gleich zweimal staunen: Einmal über die Visiere des umstrittenen Bauprojekts der Sana Fürstenland und noch viel mehr über die Geschichte der heute nicht mehr stehenden Schutzengelkirche der Jugendlichen, die bis 1965 direkt auf dem Platz des Andreaszentrum thronte. Kaum vorstellbar beweist dies eines der Fotos, die die Guides im Gepäck haben. Schön anzusehen ist zudem das imposante Gebäude der Bürgli-Galerie.
St.Gallerstrasse geht bachab
Eine alte Zeichnung zeigt die St.Gallerstrasse, die damals vom Gossauer Stadtbach durchzogen wurde. Das Toggi prangt unverkennbar im Hintergrund – hinter dem Pferdegespann, dass die linke Seite des Flusses in Richtung St.Gallen befährt. Der Bach wurde erst später umgeleitet und fliesst heute zwischen dem Fabrikgebäude Werk 1 entlang der Markthalle Richtung Niederdorf. Der Bachlauf diente dereinst als erste Gossauer Badi: Dabei durften zunächst Männer, Buben, Frauen und Mädchen jeweils zwei Stunden und nur getrennt voneinander planschen, bevor nach einigen Jahren dann die Geschlechter gemischt wurden.
Diese und viele weitere Funfacts und Highlights begegnen den Teilnehmenden der Stadtführungen: Nicht alle Inhalte sollen in diesem Beitrag Erwähnung finden, denn es warten noch weitere öffentliche Führungen auf interessierte Ohren.