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Stadt Gossau
29.07.2025

Das Gossauer «Erkerhaus»

Das «Erkerhaus» an der St.Gallerstrasse in Gossau. Der reich verzierte Erker trägt das Konterfei von Sebastian Contamin und die Jahrzahl 1738. Bild: gossau24.ch / cv
Der reich verzierte Erker mit der Jahreszahl 1738 prägt das Erscheinungsbild des «Erkerhauses» an der St.Gallerstrasse in Gossau. Hinter der Fassade stehen Persönlichkeiten und Ereignisse, die ein Stück Stadtgeschichte erzählen.

An der St.Gallerstrasse in Gossau befindet sich ein schmales, auffällig schönes Gebäude: Es ist das sogenannte Erkerhaus. Mit seinem kunstvoll gestalteten Erker ist es in Gossau einzigartig. Während auf dem Erker die Jahreszahl 1738 steht, vermuten Fachleute, dass das Haus selbst bereits im späten 17. Jahrhundert errichtet wurde. Möglich ist, dass der Erker erst später angebaut wurde und sich das Datum lediglich auf diesen bezieht. 

Landsgemeinde von 1795

Die Fachwerkkonstruktion war übrigens nicht immer sichtbar. Im Jahr 1910 zierte ein grossflächiges Wandbild des Gossauer Künstlers Karl Bubenhofer die Fassade, das die Landsgemeinde von 1795 zeigte. Diese Malerei wurde 1977 bei einer Aussenrenovation wieder entfernt und das Fachwerk freigelegt.

Die Büste von Pierre Teilhard de Chardin geht auf den früheren Eigentümer Jakob Honold zurück. Die Inschrift «esse est uniri» kann mit «Sein ist Einswerden» übersetzt werden. Bild: gossau24.ch / cv

Die Familie Contamin 

Das «Erkerhaus» war einst im Besitz von Sebastian Contamin, einem wohlhabenden Tuchhändler savoyischer Herkunft. Auch der «Ochsen» sowie der «Schwarze Adler», beides historisch wertvolle Gebäude in Gossau, wurden für Contamin erstellt. Seine Tochter Anna Maria Contamin heiratete 1779 Johannes (Bot) Künzle (1749–1820), der vom Postboten zum Anführer einer Volksbewegung wurde. Auf ihn verweist noch immer die Bot-Künzle-Strasse. Über diese Ehe schrieb 1804 ihre Tochter Maria Künzle in ihrer Familiengeschichte (so abgedruckt in den Oberberger Blättern): «[...] Der Ehestand wird, wie die alltägliche Erfahrung sagt, nicht selten ein Wehestand. Hier war er das Gegenteil; es war eines der zufriedensten Paare, die jemals des Priesters Hand knüpfte. Froh lebten sie dahin [...].»

Quelle: «Oberberger Blätter» 1971/1972, Maria Künzle: Geschichte meiner Familie, Verlag U. Cavelti, Gossau

Geschichte des Erkers

Früher waren Erker weit mehr als nur ein architektonisches Detail. Im Mittelalter zierten sie vor allem Wehrbauten, später – im 17. und 18. Jahrhundert – fanden sie auch an Wohnhäusern ihren Platz. Oft wurden sie nachträglich angebaut, um den Wohnraum zu erweitern und ein geschütztes Plätzchen mit Aussicht zu schaffen. Doch der Erker hatte auch eine repräsentative Funktion. Er war Blickfang und Statussymbol zugleich. Wer sich einen kunstvoll gearbeiteten Erker leistete, setzte damit ein sichtbares Zeichen für Stil und gesellschaftliche Stellung.

Claudia Vamvas