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Kanton SG
21.08.2025

Kaiserjäger Johann Konrad Stöckeler, Teil 2: Zurück in die Heimat!

Johann Konrad Stöckeler in den 1940er-Jahren Bild: zVg
Der St.Galler Alt-Stadtarchivar Ernst Ziegler erinnert in diesem Beitrag an den Tiroler Johann Konrad Stöckeler (1877–1938), der 1914 aus Engelburg in den Ersten Weltkrieg gezogen war, in russische Kriegsgefangenschaft geriet, fliehen konnte – und sich zu Fuss zurück in die Heimat durchschlug. Im zweiten Teil begleiten wir Stöckeler aus Russland bis nach Hause.

Im ersten Teil haben wir erfahren, wie Johann Konrad Stöckeler 1914 für Österreich in den Ersten Weltkrieg gezogen war und in Polen in russische Kriegsgefangenschaft geriet. In diesem zweiten und letzten Teil erfahren wir, wie der Engelburger fliehen und wieder nach Gaiserwald zurückkehren konnte.

Anfangs Mai 1915 erhielt seine Frau folgende, am 4. April 1915 in Kiew geschriebene «Feldpostkorrespondenzkarte»:

Liebe Rosa samt Familie!
Berichte Dir in Kürze, dass ich auf der Fahrt nach Russland bin; wohin wir kommen, weiss ich nicht. Die ganze Besatzung von Przemysl ist übergeben worden und geht alles nach hinten. Also bis der Krieg fertig ist, muss alles da bleiben. Adresse hab’ ich keine.
Nebst vielen Grüssen an Euch alle von Deinem treuen Konrad.

Nebst dem Poststempel von Engelburg vom 4. Mai 1915 und einem nicht mehr lesbaren weiteren Poststempel sind auf der Karte die Hinweise aufgedruckt: «Correspond. des prisonniers de guerre» und «Auf einer Postkarte antworten» sowie ein Zensurstempel (durchgesehen) in russischer Sprache.

Wo Konrad Stöckeler gefangen war, erfahren wir aus Postkarten, welche die Eheleute einander schicken konnten. (Es soll, nach Auskunft von Konrad Stöckelers Sohn, eine ganze Anzahl vorhanden gewesen sein, die er jedoch nach und nach, weil der mit Bleistift geschriebene Text nicht mehr lesbar gewesen sei, weggeworfen habe.)

Am 21. Oktober 1916 schrieb Rosa Stöckeler an «Herrn Johann Konrad Stöckeler, Kriegsgefangener Zugführer, Dergachi, Gouvernement Samara, Ost-Russland»:

Lieber Konrad,
Soeben mit grosser Freude deine Karte erhalten vom 7.9. Hat uns sehr gefreut, dass Du immer gesund bist, was bei uns auch der Fall ist. Auch im Stall ist alles gesund. Wir haben heute schon Schnee wie mitten im Winter, also am 20. Oktober.
Kannst Du jetzt mit Bruder Theodor auch brieflich verkehren? So wie mit der Mutter, denn ich erhalte nicht einmal Antwort.
Wann hast Du das letzte Schreiben von mir erhalten, da ich Dir doch öfters schreibe. Hoffe, dass wir einander bald wieder sehen werden.
Ich wäre nicht mehr hier, wenn ich gewusst, dass ich so lange mit fremden Leuten mich ärgern müsste.
In der Hoffnung, dieses Schreiben werde Dich in guter Gesundheit antreffen, grüsst Dich Deine Rosa und Kinder.
Brief folgt.

Bild: zVg

Vom 27. März 1917 hat sich eine Postkarte von Stöckelers Mutter erhalten: «Elisabetha Stöckeler, Hinterwinkel, Höchst, Vorarlberg», schrieb nach Dergachi:

Liebster Johann!
Es soll Dir wieder ein Kärtchen gereicht werden in der Hoffnung, dass dieses endlich bei Dir ankommen wird.
Deine liebe Frau sagte mir, Du habest noch nie keine Post bekommen von mir seit letztem März.
Ich war letzte Woche bei Deiner Frau; ich konnte sehen, dass alles in gutem Stande steht, auch Deine lieben Kinder gut erzogen.
Wie geht es, lieber Sohn Johann; Du wirst hoffentlich gesund sein, was Du auch von uns allen hoffen kannst.
Wollen nun hoffen, dass wir einander bald sehen können.
Tausend herzliche Grüsse entbietet Dir Deine Mutter Elise.

Bild: zVg

In Russland erlebte der Gefangene 1917 die Revolution. Aus dem Kriegsgefangenenlager Pensa in Russland schrieb er am 27. Mai 1918:

Liebe Rosa und Familie,
Berichte Euch in Kürze, dass ich gesund bin, was ich bei Euch ebenfalls hoffe.
Bin in der Meinung, dass ich Euch bald beim Bahnhof St.Gallen treffen kann.
Das Schreiben vom 27. Dezember 1917 am 6. März mit Freuden erhalten.
Neueres kann ich leider nichts berichten; später mündlich.
Es grüsst Euch alle, Steiner, Tanner und Nachbarn von Johann Konrad Stöckeler, Zugführer.

Diese «Antwort-Karte» wurde aus Russland an den «Zweigverein vom Roten Kreuz, Ausschuss für deutsche Kriegsgefangene, Barmen [Wuppertal]» geschickt, von wo aus sie im Juli 1918 nach Engelburg gesandt wurde; dort kam sie am 1. August an.

Die fremde russische Sprache, Unterernährung, schlechte Behandlung, Sehnsucht nach seiner Familie und Heimweh bewirkten, dass Stöckeler flüchtete.

Bild: zVg

Die letzte erhaltene Karte zeigt einen Fluss mit einer Brücke, eine Brücke mit Dorf. Geschrieben wurde sie in Obolze, am 26. Juni 1918:

Liebe Rosa und Familie,
Berichte Euch, dass ich binnen vier Wochen nach Hause kommen werde; bin jetzt in Deutschland.
Heute angekommen, gesund und munter.
Nebst Grüssen der Stöckeler Konrad, Zugführer. – Die lang ersehnte Stunde hat für mich und Euch alle geschlagen, einmal von Russlands Elend los zu werden,
Vater.

Diese «Feldpostkarte» gab der «Verlag der Wanderschriften-Zentrale Hellerau (Amtshauptmannschaft Dresden)» heraus. Die Karte trägt den Stempel «Postprüfungsstelle, Geprüft, W.».

Über die Flucht seines Vaters erzählte der Sohn: «Wegen Geldmangels und aus Sicherheitsgründen musste er sich oft mit Wurzeln und Gras begnügen. Er sagte später oft, viele Tausend seiner Kameraden seien infolge Hunger, Erschöpfung und Krankheit gestorben. Mein Vater besass eine gute, zähe Konstitution, so dass er zu überleben vermochte.»

Im kurzen Nachruf auf Konrad Stöckeler steht: «Unter ungeheuren Strapazen kam er nach mehrmonatlicher Wanderung wieder nach Vorarlberg, wo er sich bei den Militäramtsstellen meldete. Stöckeler erhielt Order, an die italienische Front zu gehen. Das war ihm zu viel. Er entschloss sich zur zweiten Flucht, schwamm bei Gaissau über den Rhein und erreichte Ende Oktober 1918 glücklich seine Heimat wieder.»

Mechaniker Stöckeler um 1927 Bild: zVg

Aus einem alten Dengelapparat «Famos» entwickelte Mechaniker Stöckeler den Apparat «Fixall», welcher bei den Landwirten guten Absatz fand. Um 1920 begann er mit seiner Handorgel bei Anlässen, Kaffeekränzchen, an der Fasnacht usw. Tanzmusik mit zum Teil noch aus Österreich übernommenen Musikstücken zu machen. Von 1925 bis 1933 spielte auch Sohn Konrad als Klarinettist mit – das Duett nannte sich «Hauskapelle zum Baumgarten».

Die Flucht hatte ein Vierteljahr gedauert – anstatt sechs war Stöckeler rund fünfzig Monate fort gewesen. Im Nekrolog heisst es dazu:

«Wir hatten oft Gelegenheit, mit ihm über die Schrecken des Krieges, der Revolution in Russland und die Entbehrungen und Not der gefahrvollen Flucht zu reden. Alle, die mit Stöckeler in den Verkehr kamen, konnten es deshalb verstehen, dass er verbittert war und seiner Verärgerung über den Zustand in der Welt laut Ausdruck gab. Aus dem Krieger ist im Laufe der Jahre ein stiller Arbeiter und Mann geworden.»

Sein Sohn fügte bei: «Mein Vater war, wohl als Folge des Krieges, mit den verbundenen Entbehrungen, Enttäuschungen und den kaum vorstellbaren Strapazen sehr ernst geworden und kaum zufrieden. Anfangs 1938 bekam er Speiseröhrenkrebs und starb im Kantonsspital St.Gallen am 19. April 1938.»

Ernst Ziegler, ehem. St.Galler Stadtarchivar