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Gast-Kommentar
Stadt Gossau
26.08.2025
25.08.2025 21:37 Uhr

"Würdevolle Erinnerung versus Instrumentalisierung von Toten"

Bild: Kath. Seelsorgeeinheit Gossau
Pater Andy Givel, Pfarradministrator der Seelsorgeeinheit Gossau, teilt in einem Gast-Kommentar seine Gedanken zur Sterblichkeit, die viele von uns verdrängen, verschieben und neuerdings virtuell umgehen möchten.

Künstliche Intelligenz bringt uns ins Staunen – und ins Stolpern. Sie malt Bilder, die nie gemalt wurden, schreibt Texte, die nie gedacht wurden und lässt Stimmen erklingen, die längst verstummt sind. Was dabei entsteht, wirkt oft verblüffend echt und bleibt doch eine Konstruktion. Gerade darin liegt die Herausforderung: KI macht sichtbar, wie leicht wir uns täuschen lassen und wie brüchig die Grenze zwischen Wirklichkeit und Simulation geworden ist.
So auch in einem Fall, der jüngst Schlagzeilen machte: Ein Journalist interviewt den KI-Avatar eines erschossenen Schülers. Die digitale Figur spricht mit dem Gesicht und der Stimme des Toten – aber ohne dessen Einverständnis. Sie plädiert für strengere Waffengesetze, erzählt von «Star Wars» und Basketball. Alles klingt erschütternd echt, trotzdem bleibt es eine Täuschung.
Natürlich: Eltern, die ein Kind verloren haben, klammern sich an jedes Mittel, um die Erinnerung lebendig zu halten. Und niemand darf ihnen das verübeln. Aber es gibt eine feine, gefährliche Grenze zwischen würdevoller Erinnerung und der Instrumentalisierung von Toten. Wer einer KI erlaubt, einem Verstorbenen Worte in den Mund zu legen, nimmt ihm das Recht auf Authentizität. Und gerade wer jung gestorben ist, muss das Recht haben, nicht auf ewig auf eine digitale Rolle festgelegt zu werden.
Der Wunsch, den Tod zu überlisten, ist so alt wie die Menschheit. Gilgamesch suchte das Kraut der Unsterblichkeit und die Alchemisten träumten vom Lebenselixier. Heute programmieren wir Avatare. Aber – und das scheint mir der entscheidende Punkt zu sein, Sterblichkeit gehört zum Menschsein. Und wer sie verleugnet, verliert den Bezug zum wirklichen Leben.
Darum müssen wir dringend wieder lernen, Abschied zu nehmen. Wir müssen akzeptieren, dass der Tod zum Leben gehört – dass er nicht ein technisches Versagen ist, sondern Teil eines jeden Menschenlebens. Wer nicht mehr sterben darf, lebt auch nicht mehr wirklich.
Vielleicht erklärt gerade diese Verdrängung, warum unsere Gesellschaft so schwer mit Krankheit, Leiden und Endlichkeit umgehen kann – und warum die Krankenkassenprämien Jahr für Jahr steigen. Medizin soll immer mehr leisten, alles auffangen, was wir selbst nicht aushalten wollen oder können. Aber solange wir den Tod nicht annehmen, wird das Leben unbezahlbar bleiben.

Pater Andy Givel, Gossau