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Stadt Gossau
10.12.2025
10.12.2025 20:13 Uhr

Rekordsitzung, Antragsflut – und eine gute Portion Ratlosigkeit

Das Gossauer Stadtparlament hat am 9. Dezember 2025 die Budgets 2026 der Stadtwerke und des städtischen Haushalts beraten. Bild: gossau24.ch / Claudia Vamvas
Es war die längste Sitzung in der Geschichte des Gossauer Parlaments: Nach stundenlangen Kürzungsdebatten und einer überraschenden Wendung beim Steuerfuss endete die fast neunstündige Sitzung um 02:43 Uhr mit einem Ratsreferendum der SVP. Damit entscheidet nun das Volk über den Steuerfuss und Gossau startet mit finanzieller Unsicherheit ins neue Jahr.

Das Parlament und der Stadtrat waren vollzählig, die Zuschauerreihen bis auf den letzten Platz besetzt. Als Parlamentspräsident Lukas Kessler die Zahl von 30 angekündigten Anträgen nannte, ging ein Raunen durch den Fürstenlandsaal. Er mahnte kurze Voten an – schon zu Beginn war klar, dass es ein langer Abend werden würde.

Budgetkürzungen in alle Richtungen

Stundenlang wurde über zahlreiche Kürzungsanträge debattiert – zunächst bei den Stadtwerken, wo vier Streichungen und Kürzungen gutgeheissen wurden. Über den Ersatz eines Hebebühnen-Fahrzeugs entscheidet das Parlament separat. Auffallend war die breite Sparbereitschaft: Gekürzt wurde beispielsweise bei der Stadtbibliothek, der Bildung, der Biodiversität, der Digitalisierung, der Personaladministration und beim Strassenunterhalt. Die Anträge kamen aus allen Fraktionen, die meisten jedoch von der SVP. Insgesamt wurde in der Erfolgsrechnung des Stadthaushaltes der Aufwand um 493’000 Franken oder ein gutes Steuerprozent reduziert.

«Schönwetterverwaltungsrat»

Die Debatten verliefen meist ruhig und sachlich, mit fortschreitendem Abend wurden die Voten allerdings ironischer, spitziger und auch etwas angriffiger. Eine Wortmeldung sorgte aber schon früh am Abend für Aufmerksamkeit: Marina Schwizer (Die Mitte) übte scharfe Kritik am Stadtrat, sprach unter anderem von einem «Schönwetterverwaltungsrat» und monierte fehlende Verantwortungsübernahme. 

Grosses Interesse an der Gossauer Budgetdebatte. Am Ende der Sitzung waren es noch sieben Personen, die ausgeharrt hatten. Bild: gossau24.ch / cv

Um 01:00 Uhr stiegen die Computer aus

Stadtpräsident Wolfgang Giella nahm zum mehrfach diskutierten PwC-Bericht Stellung: Es laufe ein Verfahren zum Öffentlichkeitsgesetz, die Stadt müsse die Massnahmenliste nicht offenlegen. Zudem gab er bekannt, dass die Verwaltung seit zwei Jahren massiven Cyberangriffen ausgesetzt sei, deren Abwehr zusätzliche Kosten verursache. Den Vorwurf mangelnder Sparbereitschaft wies er zurück. Dann schalteten punkt 01:00 Uhr plötzlich die städtischen Computer – offenbar routinemässig – in den Ruhemodus. Mehr Symbolik war kaum möglich.

5 statt 8 Steuerprozentpunkte

Erst um 01:22 Uhr begann die entscheidende Debatte über den Steuerfuss. Die Fronten entsprachen den bekannten Positionen: SVP und FDP wollten bei 116 Prozent bleiben, Die Mitte, SP und GLP-FLiG unterstützten eine Erhöhung. Für eine Überraschung sorgte Roger Pfister (Die Mitte), der statt acht nur fünf Prozentpunkte Anhebung vorschlug. 

«Ergreifen Sie bitte nicht das Ratsreferendum»

Wolfgang Giella appellierte eindringlich an die SVP, auf ein Ratsreferendum zu verzichten. Matthias Ebneter (GLP-FLiG) erinnerte mehrfach daran, dass Budget und Steuerfuss gemeinsame Verantwortung des Parlaments seien: «Wenn wir diese Aufgabe ans Volk abschieben, gefährden wir die Stadtfinanzen.» Vor der Abstimmung wurde klargestellt, dass ein Ratsreferendum zum Steuerfuss automatisch auch das Budget blockiert – selbst bei getrennter Abstimmung.

Die Stadtschreiberin wies darauf hin, dass bei einem Ratsreferendum zwingend anzugeben sei, wie die entstehende Finanzierungslücke gedeckt werden soll. Die SVP schrieb daraufhin ihren Antrag von Hand. Bild: gossau24.ch / cv

Das Ratsreferendum wird ergriffen

Das bereinigte Budget wurde mit 19:11 Stimmen genehmigt und der Steuerfuss von 121 Prozenten setzte sich mit 17:13 Stimmen durch. Keine Minute später trat Pascal Fürer (SVP) ans Mikrofon und verlas einen handschriftlichen Antrag: Die SVP ergreife das Ratsreferendum. Damit solle der Bevölkerung ein Budget mit 116 Prozent Steuerfuss vorgelegt werden. Die strukturellen Probleme seien nicht gelöst, und ohne Einsicht in die PwC-Analyse sei eine seriöse Beurteilung nicht möglich. Das beantragte Ratsreferendum wurde mit 12 zu 18 Stimmen angenommen (10 waren nötig).

«Pure Ideologie, extrem destruktiv»

Matthias Ebneter (GLP-FLiG) sprach von «purer Ideologie», die SVP sei «nicht einen Millimeter zur Mitte hin gegangen». Stadtpräsident Wolfgang Giella bezeichnete das Vorgehen als «extrem destruktiv».

Zum Schluss wurde Florian Kobler (SP) nach 15 Jahren im Parlament verabschiedet; die SP würdigte sein langjähriges Engagement mit einem Gedicht. Schade war einzig, dass dieser Moment erst ganz am Ende der nächtlichen Marathonsitzung stattfand, als viele bereits spürbar müde waren. Um 02:43 Uhr endete schliesslich die längste Sitzung der Gossauer Parlamentsgeschichte. Was bleibt, ist ein historischer Abend, an dem viel gespart, intensiv diskutiert und ein zentraler Entscheid vertagt wurde. Nicht nur die Müdigkeit, auch eine gewisse Ratlosigkeit war den Parlamentariern ins Gesicht geschrieben. Voraussichtlich am 8. März 2026 entscheidet nun die Bevölkerung, ob der Steuerfuss 121 oder 116 Prozent betragen soll. Bis dahin bleibt Gossau in finanzieller Unsicherheit.

Claudia Vamvas
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